Intralogistik im Wandel: Ein Interview mit Peter Kazander
Er hat die LogiMAT nicht nur ins Leben gerufen, sondern sie über zwei Jahrzehnte hinweg zur größten Intralogistikmesse Europas gemacht: Peter Kazander gilt als einer der prägenden Köpfe der Branche. Mit seiner praxisnahen Perspektive als Logistiker und seinem Gespür für internationale Entwicklungen hat er die Messe nicht nur in Stuttgart, sondern auch in China und Südostasien erfolgreich etabliert. Seit 2013 verantwortete er als Managing Director der Logistics Exhibitions GmbH zusätzlich die internationalen Formate der LogiMAT und blieb damit eine zentrale Stimme der globalen Intralogistik.
Mit VAHLE spricht Peter Kazander über die Entwicklung der Intralogistik, technologische Trends wie Künstliche Intelligenz, die Bedeutung von Nachhaltigkeit sowie die Chancen auf internationalen Märkten. Ein Gespräch voller Einblicke und klarer Perspektiven.
VAHLE: Herr Kazander, Sie haben die Leitmesse LogiMAT sozusagen erfunden und über 20 Jahre lang geprägt. Worauf sind Sie besonders stolz?
Peter Kazander: Erfunden ist vielleicht das falsche Wort, aber ja, ich durfte die LogiMAT ab Tag eins gestalten, durchführen und weiterentwickeln. Was natürlich richtig gut geklappt hat, ist ein kontinuierliches Wachstum und die Tatsache, dass das, was wir in 2003 ganz klein angefangen haben, mit nur 3 Mitarbeitern und 160 Ausstellern, inzwischen die größte Intralogistik-Messe weltweit ist. Das war aber nie mein oberstes Ziel, das haben die Aussteller mit uns gemeinsam gemacht. Die Aussteller sind unsere Partner und so gehen wir auch miteinander um. Da bin ich unglaublich stolz drauf, dass wir diese familiäre Denke beibehalten haben, auch heute mit mehr als 1.600 Ausstellern aus 40 Ländern.
VAHLE: Dabei war Ihre Messe-Karriere eigentlich Zufall…
Peter Kazander: Das stimmt, ich komme nicht aus dem Messewesen. Ich bin Logistiker und kam zuletzt aus der Softwareentwicklung, und dann hat man mich gefragt: "Hast du mal Lust, Messe zu machen?" Und ich fand das spannend, also habe ich es versucht. Dadurch, dass ich keine Ahnung hatte, habe ich ganz viele Sachen anders gemacht. Ich habe zum Beispiel nie überhöhte Preise gemacht, um dann anschließend surrealistische Rabatte zu geben. Bei der LogiMAT in Stuttgart hat bis heute in 20 Jahren niemand Sonderrabatte bekommen. Groß oder klein, Konzern oder Mittelstand, jeder zahlt das Gleiche. Das ist Fairness. Und, was ich verspreche, halte ich. Das gilt auch für mein Nachfolger und das weiß jeder Aussteller der LogiMAT.
VAHLE: Jetzt hat sich die Intralogistikbranche gerade in den letzten 20 Jahren rasend schnell entwickelt. War das da vielleicht auch ihr Vorteil, dass Sie Logistiker sind und am Puls der Zeit?
Peter Kazander: Ja, mit Sicherheit. Ich habe angefangen in einer Zeit, da ist das Wort Intralogistik erst erfunden worden, so Anfang der Nuller Jahre. Es war sicherlich gut, da von Anfang an draufspringen zu können. Und es sind in der Zeit mehrere Sachen passiert, die ich überhaupt nicht beeinflusst habe. Also ich habe in Stuttgart auf dem Killesberg angefangen, ein ganz kleines altes Messegelände. In 2007 war das bereits voll, und 2008 hatte ich auf einmal ein neues Messegelände mit hauseigenem Flughafen. Das passte natürlich perfekt.
2 Jahre später kam die Finanzkrise und da hätte alles anders aussehen können. Aber so war das Messegelände, direkt am Flughafen, natürlich ein Schub für die Internationalität und so wurde das Wachstum nur kurzzeitig leicht ausgebremst und nicht gestoppt.
VAHLE: Wie haben sich die Schwerpunkte der Messe thematisch verändert im Laufe der Zeit?
Peter Kazander: Eines hat sich im Laufe der Jahre ganz klar herausgestellt. Früher gab es ein Unternehmen, das hat Regale gebaut. Das nächste hat Regal-Bediengeräte gemacht, das nächste Gabelstapler, ein anderes Verpackungen und wieder ein anderes die Software. Da war es auch ganz einfach die Hallenaufteilung für die Messe zu machen, weil relativ klar war, in welchen Bereichen die einzelnen Unternehmen tätig sind.
Heute sind eigentlich fast alle Intralogistik-Generalanbieter. Das ist bei VAHLE ja ganz ähnlich: Das Unternehmen hat sich im Laufe der Zeit vom reinen Stromschienenhersteller hin zu einem umfassenden Lösungsanbieter entwickelt. Unternehmen sind sehr viel breiter aufgestellt inzwischen. Das ist spannend, das finde ich wirklich prägend.
VAHLE: Absolut - und damit sind wir auch schon bei der Frage: Welche technologischen Trends sind für Sie besonders richtungsweisend?
Peter Kazander: Auch wenn die Antwort langweilig klingt: Im Moment ist das eindeutig KI, und zwar nicht so sehr um KI willen, sondern wie wird sie eingesetzt, um Prozesse noch mal intelligenter, schneller oder nachhaltiger zu machen - oder alle 3 zu optimieren, das ist also definitiv der Trend im Moment.
VAHLE: Aber es wird natürlich die Unternehmen und auch die Fachkräfte und den Einsatz des Personals langfristig verändern, oder?
Peter Kazander: Definitiv, ganze Prozesse wird das verändern. Wobei KI nicht besser ist als der Mensch, nur schneller. Das ist meine nicht von jedem geschätzte Meinung. Wo sich allerdings alle Einig sind ist das führt natürlich zu Wahnsinnsanforderungen, insbesondere an das Personal. Wir haben Fachkräftemangel, aber es reicht nicht zu sagen: Wir automatisieren jetzt alles. Es braucht Menschen, die das Ganze noch aktiv steuern müssen.
Also gibt es einen veränderten Bedarf bei der Bildung. Wir müssen jetzt nicht alle Master of Science werden aber viele Arbeitsplätze werden neugestaltet. Und, wir müssen lebenslang lernen. Das muss sein, sonst werden wir überholt und schaffen wir es nicht mehr, bis zur Rente produktiv im Unternehmen mitzuarbeiten. Statt, dass ich beim Älterwerden mehr Erfahrung ins Unternehmen bringe, werde ich ohne Weiterbildung immer „dümmer“ und das kann und darf es nicht sein. Wir brauchen auch zukünftig diese älteren Mitarbeiter, also das Thema Bildung muss man ganz neu bewerten. Jedes Unternehmen muss das auch ermöglichen, es hat einen Bildungsauftrag, den es bis jetzt so nie gehabt hat.
VAHLE: Sie haben die Nachhaltigkeit angesprochen. Früher hieß es, wir müssen ein bisschen Strom einsparen, dann sind wir schon nachhaltig und energieeffizient. Das wird sich natürlich noch weiter entwickeln...
Peter Kazander: Nachhaltigkeit spielt definitiv eine gigantische Rolle. Energie, insbesondere in Deutschland, ist teuer. Also muss man erstmal weniger Energie nutzen. Natürlich kann ein Gerät so konstruiert werden, dass es weniger Energie verbraucht für die gleiche Aufgabe, diese Technologie verbessert sich kontinuierlich.
Aber wenn wir über Lager und Intralogistik reden, ist noch viel mehr Energieeffizienz insbesondere aus der Prozessoptimierung zu holen.
Wenn ich beispielsweise einzelne Geräte einfach weniger bewege, weil alle deutlich besser aufeinander abgestimmt sind, dann ist das ein Riesenpotenzial. Prozessoptimierung und somit auch Energieeffizienz hören aber im Lager nicht auf. Da gibt es entlang der Produktions- und Lieferketten viele Prozessabschnitte. Wir reden da über globale Warenströme.
VAHLE: Das ist ein gutes Stichwort Wir kommen zu den internationalen Märkten. Warum rücken denn überhaupt Regionen wie Südostasien und gerade Indien zunehmend in den Fokus der Branche? Woran liegt das?
Peter Kazander: Also nehmen wir jetzt mal China und Vietnam als zwei Beispiele. China war früher Werkbank des Westens. Wir haben alles erfunden und haben es dann billig in China fertigen lassen. Es hat relativ lange gedauert, mehrere Jahrzehnte, bis China das eingesehen, ausgeglichen und für sich genutzt hat. Das Gleiche passiert zum Beispiel in Vietnam. Vietnam ist jetzt Werkbank von China, aber das sicherlich auch nicht mehr lange. Wir haben heute weltweit eine andere, offenere Kommunikation, wir können kein Wissen mehr „verstecken“. Wir stellen all unser Wissen ins Internet und erwarten dann, dass Andere es nicht nutzen. Das funktioniert nicht.
Und auch wenn ich als Messemacher nie über Politik rede, gibt es geopolitische Entwicklungen. Und es gibt ganz konkrete Beispiele, dass davon insbesondere Indien und Südostasien profitieren: Der größte E-Auto Hersteller der Welt, BYD aus China, hat jetzt ein Werk in Bangkok gebaut. Warum? Wenn die Großmächte sich jetzt gegenseitig die Zölle um die Ohren hauen, dann baut BYD erstmal woanders.
Ein anderes Beispiel: über 70% der iPhones werden heute schon in Indien gebaut und MacBooks werden fast nur noch in Thailand gefertigt. Also dass wir in Asien produzieren, ist gut für uns und gut für Asien, aber dann ist natürlich die Frage: wo in Asien produziere ich? Und davon profitieren im Moment insbesondere Südostasien und Indien. Deswegen sind die auch zunehmend im Fokus.
VAHLE: Sie haben es angesprochen: China, Thailand, Indien... die LogiMAT ist ja heute nicht nur in Stuttgart, sondern eben auch genau in diesen Ländern präsent. Was war da die ursprüngliche Motivation für diese Internationalisierung?
Peter Kazander: Wenn ich jetzt ehrlich bin, war China eher Zufall. Andere haben versucht, mich zu motivieren, die LogiMAT nach China zu exportieren, und haben mir China schmackhaft gemacht. Ähnlich war es später auch in Thailand und Indien. Wir sind immer nur ins Ausland gegangen, da, wo uns unsere späteren lokalen Partnern dazu eingeladen haben. Meiner Meinung nach ist das auch ein besserer Einstieg, weil man dann auch gleich Partner vor Ort hat. Das ist unheimlich wichtig, denn es gibt enorme kulturelle Unterschiede und die muss man respektieren. Auch da brauchst du Partner, sonst machst du Fehler ohne Ende.
VAHLE: Können Sie mal ein Beispiel nennen? Was da beim Geschäfte machen so ganz anders abläuft als in Europa?
Peter Kazander: Nehmen wir China als Beispiel. Man sagt, der Chinese macht nur Geschäfte mit Familie oder Freunden. Also investierst du in China sehr viel Zeit.
Man trifft sich sehr oft, unterhält sich, lernt sich kennen, ohne übers Geschäft zu reden. Oft sind nur die letzten 2-3 Sätze bei einem Meeting geschäftlich, das ist ganz anders als bei uns. In Indien ist es wieder anders, da weiß man schneller, wo man wo man dran ist, das macht es für uns Europäer etwas einfacher. Und Südostasien ist differenziert. 10 Länder, 10 Kulturen, alle mal mehr und mal weniger unterschiedlich. Kultur-Hopping habe ich es immer genannt und das finde ich unheimlich spannend, ganz toll.
VAHLE: Wie wurden die Messen in Bangkok und Mumbai von den Ausstellern und Besuchern angenommen?
Peter Kazander: In Bangkok haben wir im Jahr 2019, unmittelbar vor der Corona-Zeit - also mit fast 3 Jahren Stillstand - angefangen. Das hat uns am Anfang ein bisschen zurück geschmissen, aber inzwischen läuft es sehr gut. Die LogiMAT Southeast Asia wächst und wird von den internationalen Fachbesuchern sehr gut angenommen. Der Standort Bangkok ist dabei natürlich auch ein nicht unwesentlicher Faktor. (lacht) Wer ist nicht gerne in Bangkok?
Indien ist eine Welt für sich. Sowas wie in Indien habe ich in 20 Jahren Messe machen noch nie erlebt. Das war ab dem ersten Messetag einfach bombastisch, mit unglaublich viel Fachwissen und fantastischer Unterstützung von Verbänden und auch aus Regierungskreisen, also wirklich auf aller oberster Ebene. Die Fachbesucher sind hungrig nach Wissen und suchen aktiv das Gespräch, auch mit internationalen Ausstellern. Indien ist definitiv der Markt der Zukunft.
VAHLE: Also würden Sie sagen, Indien und Südostasien spielen auch eine große Rolle für Unternehmen, die neue Märkte erschließen wollen, insbesondere für Mittelständler wie VAHLE?
Peter Kazander: Ja. Also Indien definitiv. Indien ist positiv aggressiv unterwegs, Südostasien ist natürlich etwas differenzierter dadurch, dass es verschiedene Länder und Kulturen sind.
Wichtig ist auch, in Südostasien und in Indien hat "Made in Germany" noch richtig großen Wert und die Messen werden von deutschen Teams vor Ort begleitet. Das macht es für Aussteller möglich, mit einem überschaubaren Budget gut organisiert mit deutschen Ansprechpartnern vor Ort zu punkten. Gerade für mittelständische Unternehmen eröffnen sich so attraktive Chancen, neue Märkte zu erschließen.
VAHLE: Wir haben vorhin ganz viel über Südostasien und China gesprochen. Welche Rolle wird Europa künftig im globalen Wettbewerb spielen?
Peter Kazander: Wenn du dir die Märkte anguckst, wollen doch eigentlich alle das Gleiche. Ich habe das immer mit so einer Art Wettlauf verglichen. Wir haben ein paar Athleten, Europa und Asien und die USA und Nahost und so weiter. Die Ziellinie ist für alle gleich. Alle wollen die gleiche hohe Effizienz, top Technologie und Kostensenkung. Der Unterschied ist, dass die Startblöcke nicht alle nebeneinander liegen. Der Startblock Europa liegt ein bisschen weiter vor dem Startblock Thailand oder Vietnam. Irgendwo auf der Strecke liegt noch ein Startblock USA - und noch ein Startblock, der kommt heftig und schnell: Afrika.
Jetzt fangen sie alle an zu rennen, aber dann kommt der zweite Unterschied: Sie haben nicht alle die gleiche Motivation, Europa und USA laufen, um zu gewinnen.
Südostasien läuft, um in der Top 10 zu sein. Und Indien läuft nur, um schneller als China ins Ziel zu kommen. Das Mindset ist unterschiedlich, aber das ändert nichts an den Technologien, die sie dafür brauchen, um am Ende erfolgreich zu sein.
VAHLE: Und welche Entwicklung erwarten Sie in den nächsten 5 bis 10 Jahren in der Intralogistik?
Peter Kazander: Neben KI noch ein weiteres Beispiel. Auch Fahrerlose Transportsysteme zeigen, wie schnell sich die Technik entwickelt. Früher vielleicht 12 Stunden Betrieb, 12 Stunden aufladen. Mit der heutigen Ladetechnologie 18 Stunden arbeiten und 6 Stunden aufladen. Aber das sind immer noch 6 Stunden, in denen sie rumstehen, das ist ja Blödsinn. Das FTS muss 24 Stunden laufen und der Strom muss zum Gerät und nicht andersrum. So wie bei der berührungslosen Energieübertragung von VAHLE. Hybride FTS fahren flexibel mit Batterien und laden sie auf bestimmten Strecken während des Betriebs auf – dadurch sind sie stets einsatzbereit und es wird keine Zeit verschwendet. Da hat VAHLE die Zeichen der Zeit erkannt.
VAHLE: Wenn Sie heute noch mal neu anfangen würden, würden Sie alles noch mal genauso machen?
Peter Kazander: Ich glaube, ich würde es wieder so machen. Ich würde es insbesondere mit der gleichen Mentalität und genau dem gleichen Team machen. Das LogiMAT-Team im Hintergrund wird oft übersehen. Dabei hat es so einen großen Beitrag am Erfolg der LogiMAT. Also, ich bin zufrieden und freue mich darüber, dass „meine“ LogiMAT von der nächsten Generation so toll weitergeführt wird.
VAHLE: Ja, das ist doch schön, wenn man das am Ende sagen kann. Herr Kazander, vielen Dank für das Gespräch.
Peter Kazander: Sehr gerne.